Beweislastverteilung bei Sturz im Pflegeheim

Das Thüringer Oberlandesgericht hat mit Urteil vom 18.02.2020 - 5 U 429/18 mit erfreulicher Deutlichkeit zur Beweislastverteilung bei einem Unfall im Pflegeheim Stellung genommen. Bei dem zugrunde liegenden Fall war eine Heimbewohnerin nach der Pflegeplanung beim Laufen mit dem Rollator auf die Begleitung durch eine Pflegekraft angewiesen. Am Unfalltag wurde die Heimbewohnerin von einer Frisörin vom Wohnbereich abgeholt und zum Aufzug begleitet. Vor dem Aufzug drehte sich die Frisörin von der Heimbewohnerin weg, um den Aufzugtaster zu betätigen. In diesem Moment stürzte die Bewohnerin. Der Gutachter führte aus, dass eine ausgebildete Pflegekraft die Heimbewohnerin nicht losgelassen hätte, während sie den Aufzug anfordert. Ob eine Pflegekraft den Sturz verhindert hätte, konnte der Sachverständige nicht sicher feststellen, sondern ließ die Frage offen.

Das Landgericht Gera und das Thüringer Oberlandesgericht gaben der Klage gegen den Heimträger auf Schadensersatz statt. Die Heimbewohnerin sei nicht im normalen, alltäglichen Gefahrenbereich zu Schaden gekommen, sondern bei einer konkreten Pflegemaßname, nämlich der fachgerechten Begleitung der gangunsicheren Geschädigten. In einer solchen Gefahrensituation treffe den Heimträger eine gesteigerte, erfolgsbezogene Obhutspflicht. Er habe für die Vermeidung jeder unfallbedingten, körperlichen Beeinträchtigung der Heimbewohnerin Sorge zu tragen. Schon das Verfehlen dieses Ziels rechtfertige den Schluss auf eine Verletzung dieser Obhutspflicht, so dass es Sache des Heimträgers ist, aufzuzeigen und nachzuweisen, dass der Vorfall nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten der Pflegekraft oder mangelnder Sturzprophylaxe beruht. In diesem Fall habe der Heimträger nicht nur darzulegen und nachzuweisen, dass ein nicht zu erwartendes und nicht vorhersehbares Ereignis als Sturzursache ernsthaft in Betracht kommt. Sie habe vielmehr den vollen Entlastungsbeweis zu führen. Demnach sei der Heimträger im Sinne eines voll beherrschbaren Risikos für das Fehlen einer Pflichtverletzung und deren Kausalität darlegungs- und beweisbelastet.

Im Rahmen der Sturzprophylaxe sei dabei nicht maßgeblich, ob die Heimbewohnerin bereits zuvor einmal gestürzt war. Dies könne zwar auch eine konkrete Sturzgefahr begründen. Fachgerechte Pflege könne aber nicht darin bestehen abzuwarten, bis Betroffene tatsächlich zum Sturz kommen und erst danach konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Sondern bei einer Person, die sehr unsicher läuft und trotz Rollator die Begleitung einer Pflegekraft benötigt, müssten die erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden, um von vornherein einen Sturz zu vermeiden.

Damit hat das Thüringer Oberlandesgericht nochmals klargestellt, dass bei einer Verletzung von auf Hilfe angewiesenen Heimbewohnern im Rahmen einer konkreten Pflegemaßnahme der Heimträger darlegen und beweisen muss, dass die Pflege fachgerecht erfolgte oder der Gesundheitsschaden nicht auf einer Pflichtverletzung beruht.

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