OVG Weimar: Verdeckte Ermittlungen durch einen Sozialdetektiv sind „grob rechtswidrig“

Das Oberverwaltungsgericht in Weimar, Urteil vom 25.11.2010, Az.: 3 KO 527/08, hat entschieden, dass verdeckte Ermittlungen durch einen Außendienstmitarbeiter („Sozialdetektiv“) zur Prüfung von Sozialdaten rechtswidrig ist.

Im vorliegenden Fall hatte die für die Übernahme des Kindertagesstättenbeitrages zuständige Behörde den Verdacht, dass die Klägerin mit dem Vater ihrer Kinder in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zusammenlebe. Sie beauftragte daher einen Außendienstmitarbeiter mit der Observierung der Wohnung der Klägerin und der Befragung von Nachbarn. Gegen diese Art der Datenerhebung erhob sie Klage auf Feststellung, dass diese Maßnahmen rechtswidrig seien.
Das Oberverwaltungsgericht gab der Klage statt. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung umfasse die Befugnis des Einzelnen, selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Die Erhebung persönlicher Daten bedürfe als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer verfassungsgemäßen  Grundlage. Dieser verfassungsrechtlich begründete Gesetzesvorbehalt werde für den Bereich der Sozialverwaltung durch § 35 Abs. 1 S. 1 SGB I konkretisiert. Hiernach hat jeder Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten von den Sozialleistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden (Sozialgeheimnis).

Die Ermittlungen durch den Außendienstmitarbeiter der Behörde lassen sich nach Auffassung des OVG Weimar nicht auf eine gesetzliche Grundlage stützen. Insbesondere sei eine solche Grundlage nicht in dem zum Zeitpunkt der Datenerhebung maßgeblichen § 62 SGB VIII zu finden. Nach dieser Vorschrift dürfen Sozialdaten nur erhoben werden, soweit ihre Kenntnis zur Erfüllung der jeweiligen Aufgabe erforderlich ist. Dabei sei zu beachten, dass es im Sozialbereich keine belanglosen Daten gebe. Vielmehr seien alle Daten über den Betroffenen grundsätzlich schutzwürdig. In dem vom Gericht entschiedenen Fall sei die Datenerhebung durch einen Sozialdetektiv grob rechtswidrig gewesen, da nach § 62 Abs. 2 S. 1 SGB VIII Sozialdaten „beim Betroffenen“ zu erheben sind. Dies verlange, dass die Daten bei ihm selbst, mit seinem Willen und seiner Kenntnis bzw. Mitwirkung, d.h. „mit ihm, nicht ohne oder gegen ihn“ erhoben werden.  Daten dürfen daher grundsätzlich nicht über ihn oder an ihm vorbei, etwa „hinter seinem Rücken“ oder sonst ohne sein Wissen erhoben werden. Nur ausnahmsweise sei eine Fremderhebung von Daten unter den engen Voraussetzungen der Tatbestände in § 62 Abs. 3 SGB VIII zulässig. Dies betreffe insbesondere Fälle der objektiven oder subjektiven Unmöglichkeit, also Fälle, in denen der Betroffene nicht erreichbar oder nicht in der Lage ist, die Auskünfte zu erteilen. Fälle der verweigerten Mitwirkung würden dagegen nicht genügen. Da diese Ausnahmen im Fall der Klägerin nicht vorlagen, durfte die Behörde den Sozialdetektiv nicht mit der Erhebung der Daten beauftragen. Vielmehr hätten die Daten bei der Klägerin erhoben werden müssen.

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