Bundesverfassungsgericht: Kampf mit EuGH fällt aus

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde folgenden Sachverhalt zu beurteilen:

Ein zum Honeywell-Konzern gehörender Automobilzulieferer hatte im Februar 2003 mehrere befristete Arbeitsverträge abgeschlossen, ohne für die Befristung einen sachlichen Grund zu haben. Nach der damals geltenden Fassung des § 14 Abs. 3 Satz 4 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) war dies auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer bei Beginn des Arbeitsverhältnisses das 52. Lebensjahr bereits vollendet hatte.

Einer der Arbeitnehmer hatte dann auf Entfristung des Arbeitsvertrages geklagt. Nachdem er vor dem Arbeitsgericht und dann vor dem zuständigen Landesarbeitsgericht erfolglos blieb, fällte der EuGH – in einem anderen Verfahren – das zwischenzeitlich zu Berühmtheit gelangte „Mangold-Urteil“ (Urteil vom 22.11.2005, Rs. C-144/04). In dieser von vielen heftig kritisierten Entscheidung (Roman Herzog: „Stoppt den Europäischen Gerichtshof“) meinte der EuGH, dass eine nationale Regelung wie § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG mit europäischem Recht unvereinbar sei, weil sie unter anderem dem im europäischen Recht verankerten allgemeinen Grundsatz des Verbots der Altersdiskriminierung widerspreche. Es obliege dem nationalen Gericht, die volle Wirksamkeit des allgemeinen Verbots der Diskriminierung wegen des Alters zu gewährleisten, indem es jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lasse. In dem Fall des Honeywell-Mitarbeiters sah sich das Bundesarbeitsgericht dann an die Mangold-Entscheidung des EuGH gebunden. Das Gericht wendete daher § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG nicht an. Obwohl die im Streit stehende Befristungsabrede zeitlich vor dem Mangold-Urteil getroffen wurde, lehnte das Bundesarbeitsgericht es auch ab, aus Gründen des gemeinschaftsrechtlichen oder nationalen Vertrauensschutzes § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG anzuwenden.

Der Arbeitgeber legte daraufhin Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war mit Spannung erwartet worden. Denn in seinem Urteil zum Lissabonvertrag (Entscheidung vom 30.06.2009, 2 BvE 2/08 u. a.) hatte es Voraussetzungen definiert, unter denen das Bundesverfassungsgericht kompetenzwidrige und in diesem Sinne „ausbrechende“ Rechtsakte der Organe der Europäischen Union und damit auch des Europäischen Gerichtshofs auf seine Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht prüfen dürfe. Viele sahen in der Mangold-Entscheidung des EuGH einen solchen „ausbrechenden“ Rechtsakt.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Erwartungen enttäuscht. Die sogenannte „Ultra-vires-Kontrolle“ setze voraus, dass das Handeln der Unionsgewalt „offensichtlich kompetenzwidrig“ sei und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedsstaaten und Europäischer Union zu einer „strukturell bedeutsamen Verschiebung“ zu Lasten der Mitgliedsstaaten führe. Diese Voraussetzungen hielt das Bundesverfassungsgericht nicht für gegeben. Zudem war nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts das Bundesarbeitsgericht nicht etwa gehalten, dem Arbeitgeber Vertrauensschutz zu gewähren, indem es die mit Unionsrecht unvereinbare Regelung des § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG auf vor Erlaß des Mangold-Urteils abgeschlossene befristete Arbeitsverträge anwendete. In Betracht kommt allerdings finanzielle Kompensation: Nicht ausgeschlossen hat das Bundesverfassungsgericht für Konstellationen der rückwirkenden Nichtanwendbarkeit eines Gesetzes infolge einer Entscheidung des EuGH einen Anspruch auf Entschädigung dafür, dass ein Betroffener auf die gesetzliche Regelung vertraut hat und in diesem Vertrauen Dispositionen getroffen hat. Ein Anspruch auf Entschädigung gegen die Bundesrepublik Deutschland für Vermögenseinbußen, die der Arbeitgeber durch die Entfristung des Arbeitsverhältnisses erlitten habe, sei aber – so das Bundesverfassungsgericht - nicht Gegenstand des Verfassungsbeschwerdeverfahrens.

Mit der „Honeywell-Entscheidung“ hat das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum Lissabonvertrag wieder entschärft. Der „Kampf der Giganten“ Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof – mit unabsehbaren Folgen für den Einigungsprozeß – fällt bis auf weiteres aus. Für den praktischen Rechtsanwender bleibt die Erkenntnis, dass man nur in einem schwer vorzustellenden Extremfall europäisches Recht unter Berufung auf mitgliedstaatliches Verfassungsrecht wird „kippen“ können. Immerhin hat der Betroffene, der auf den Bestand einer nationalen Rechtsregel vertraut hat, die sich dann als unionsrechtswidrig erweist, die Chance, den Mitgliedsstaat auf Entschädigung in Anspruch zu nehmen.

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