Keine Aufhebung oder Änderung von unionsrechtswidrigen bestandskräftigen Bescheiden

Der Bundesfinanzhof hatte mit Urteil vom 16.09.2010 (Az: V R 57/09) folgenden Sachverhalt zu entscheiden:

Die Klägerin betrieb eine Spielhalle und erzielte u.a. Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit. Der Beklagte unterwarf diese Umsätze der Umsatzsteuer. Die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre wurden bestandskräftig. Nachdem die Einspruchsfristen jeweils bereits mehr als ein Jahr abgelaufen waren und überdies die Festsetzungsverjährung nach den Bestimmungen der Abgabenordnung eingetreten war, legte die Klägerin Einspruch gegen die Umsatzsteuerbescheide ein und machte unter Bezugnahme auf das EuGH-Urteil vom 17.02.2005 (C-453/02 und C- 462/02, BeckEuRS 2005, 395456 - Linneweber und Akritidis) die Steuerfreiheit geltend. Der Beklagte verwarf die Einsprüche wegen Verfristung als unzulässig. Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg.

Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs:

Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs ist ein Verwaltungsakt nicht schon wegen der fehlerhaften Anwendung einer Rechtsnorm nichtig. Dies gilt auch bei einem Verstoß gegen das Unionsrecht. Insoweit ist keine abweichende Behandlung als bei einem auf einer verfassungswidrigen Grundlage beruhenden Bescheid geboten.

Der Bundesfinanzhof hielt die Einsprüche der Klägerin aufgrund der Versäumung der Einspruchsfrist für unzulässig. Die Klägerin konnte die Steuerfestsetzungen innerhalb der allgemeinen Einspruchsfristen anfechten. Die Länge der Einspruchsfrist ist angemessen und verstößt insbesondere nicht gegen die unionsrechtlichen Vorgaben des Äquivalenz- und des Effektivitätsprinzips. Innerhalb der Fristen der Abgabenordnung ist effektiver Rechtsschutz auch in Fragen des Unionsrechts möglich und zumutbar, selbst wenn sich erst nach dem Fristablauf eine günstigere Rechtsentwicklung ergeben sollte. Sieht jemand von einer Klage gegen einen Verwaltungsakt und der Weiterverfolgung seiner Rechtsansicht ab, nimmt er nach Ansicht des Bundesfinanzhofs den Eintritt der Bestandskraft und die daraus resultierende Bindungswirkung bewusst in Kauf.

Die Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerfestsetzungen liegen ebenfalls nicht vor. Für einen aus Art. 10 EG abgeleiteten „Überprüfungs- und Aufhebungsanspruch" fehlt es an der Änderungsbefugnis der nationalen Behörde. Das System der §§ 172 ff. AO ist abschließend und sieht eine solche Befugnis für den Fall der nachträglich erkannten Unionsrechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes nicht vor. Nach dem Unionsrecht ist eine weitergehende Korrekturmöglichkeit für bestandskräftige, unionsrechtswidrige Steuerbescheide nicht erforderlich; insbesondere wird dem unionsrechtlichen Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz durch §§ 172 ff. AO hinreichend Rechnung getragen. Eine Änderung scheitert - so der Bundesfinanzhof - schließlich auch daran, dass die Klägerin
nicht die ihr gegen die angefochtenen Steuerfestsetzungen zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe fristgerecht ausgeschöpft hat. Es komme allenfalls ein Erlass der Steuer nach § 227 AO, nicht aber eine Änderung der Steuerfestsetzung in Betracht.

Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist auch für die Körperschaften des öffentlichen Rechts von Bedeutung, die Kommunalabgaben erheben. Auf Kommunalabgaben sind die Regelungen der §§ 172 ff AO aufgrund von Verweisungsnormen in den Kommunalabgabengesetzen einiger Bundesländer (z.B. in Sachsen in § 3 Abs. 1 Ziff. 4 c SächsKAG,) entsprechend anzuwenden.

Fragen zum Thema?

Kontaktieren Sie uns gern über unser Kontaktformular und stellen Sie uns Ihre Fragen.

Kontaktformular